Was ich immer schon mal fragen wollte …Dr. Andrea Grünhagen (SELK)

Es gibt Fragen des Lebens und Glaubens, die sind komplex. Daran liegt es, dass die entsprechenden Antworten auch komplex sind. Manchmal sind sie sogar paradox. Dann erleben die Fragenden die Antworten als unbefriedigend. Wichtig ist aber, dass zwischen Fragenden und Antwortenden ein grundsätzliches Einverständnis über die Grundlage besteht, die die Basis für die Antworten bildet. Das ist für uns als Lutheraner die Heilige Schrift und die Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche als ihre sachgerechte Auslegung. Man könnte auch eine andere Basis haben. Einer meiner Professoren sagte immer: „Es ist nicht die Frage, ob man Dogmen hat, sondern welche.“  Die Erfahrung zeigt, dass uns die Bibel selbst Antworten gibt, die alles andere als einfach sind.

Warum sollen wir uns dann überhaupt mit Dingen beschäftigen, wenn wir das alles eigentlich sowieso kaum verstehen können? Weil es sich um echte Fragen handelt, die Menschen umtreiben, besonders, wenn das Ende des Lebens näher rückt und sich die Frage nach dem „Danach“ mit Macht stellt. 

  1. Sind alle, die nicht an Jesus glauben wirklich ewig verloren?

Je nachdem, wie man diese Frage beantwortet, kann man sich möglicherweise alle weiteren hier aufgeführten Fragen sparen. Beantwortet man sie mit „Nein“ hat sich das Problem erledigt. Entweder, wir sind auf einem Weg, der sich am Ende in zwei Richtungen gabelt oder wir sind es nicht. Man nennt das theologisch den „doppelten Ausgang des Gerichts“ und im Gegensatz dazu die Lehre von der „Allversöhnung“. Die christliche Zeitschrift idea hat vor einigen Wochen den Versuch unternommen, dazu belastbare Aussagen von Personen mit kirchlicher oder theologischer Leitungsfunktion zu erhalten. (idea spektrum 48.2019 S. 16-18) Demnach beantwortete der Theologische Vizepräsident der EKD Thies Gundlach diese Frage mit einem Zitat des Theologen Karl Barth: „Die Allversöhnung lehre ich nicht, aber ich lehre sie auch nicht nicht.“

Die Unklarheit kommt wohl dadurch zustande, dass auch jemand, der weiß, dass die Bibel vom Jüngsten Gericht und von Himmel und Hölle redet (Mt 25,46; Joh.3, 16-18;Joh.5,24-29; Röm.2, 1-16; Hebr. 9,27f; Offb.20,11-15) trotzdem keine Freude daran hat, von der ewigen Verdamnis so vieler Menschen ausgehen zu müssen.

Die Antwort des lutherischen Bekenntnisses ist dagegen denkbar klar und scharf: „Auch wird gelehrt, dass unser Herr Jesus Christus am Jüngsten Tag kommen wird, um zu richten und alle Toten aufzuerwecken, den Gläubigen und Auserwählten ewiges Leben und ewige Freude zu geben, die gottlosen Menschen aber und die Teufel in die Hölle und zur ewigen Strafe zu verdammen.“ (Augsburgisches Bekenntnis Art. 17).

  1. Wenn der Glaube ein Geschenk ist, warum macht Gott dieses Geschenk nicht allen?

Überhaupt anzuerkennen, dass es ein höheres Wesen gibt, dass souverän ein ewiges Urteil über mein Leben fällen dürfte, fällt den meisten Menschen heute schwer. Aber wenn, dann würde man gerne die Kriterien dafür wissen. Geht man nicht wie Lutheraner von der Alleinwirksamkeit der Gnade Gottes aus, ist diese Frage logisch zu beantworten. Es gibt nach menschlicher Logik drei Antworten. 1. Der Glaube ist kein Geschenk, sondern eine Entscheidung, die sich in einem tätigen Christenleben bewähren muss. Jeder hat die Chance, diese Entscheidung für Christus zu treffen und er ist in seinem Willen auch frei, dies zu tun. Damit alle die Chance haben, treibt man Mission. Wer sich nicht für Jesus entscheidet, ist an seiner ewigen Verdammnis selbst schuld, denn er hat nicht gewollt. Das ist die eher evangelikal-pietistische Version. Die römisch-katholische geht so: Der Mensch ist zwar durch die Sünde verdorben, aber nicht völlig. Wenn er will, kann er treu die Hilfen der katholischen Kirche gebrauchen, um aus der Anfangsgnade, die ihm Gott in der Taufe schenkt, ein Leben im Glauben zu führen. Ob er dann selig wird oder nicht, hängt davon ab, ob er gute Werke vollbringt als Beweis seines Glaubens oder wenigstens den Vorsatz dazu hat oder seine Sünden aufrichtig bereut und für sie Buße tut. Völlig anders sieht das die Lehre der reformierten Kirche von der doppelten Prädestination (Vorherbestimmung): Gott macht das Geschenk des Glaubens nicht allen, sondern nur denen, die er zum Heil erwählt hat. Diejenigen, die er zur Verdammnis vorherbestimmt hat, können gar nicht zum Glauben können.

Man merkt leicht, bei allen drei Varianten kann man sich nie sicher sein. Entweder weiß man nicht, ob die eigene Bekehrung auch echt und ausreichend war oder man fragt sich, ob die Menge der guten Werke ausreicht bzw. ob die Reue auch aufrichtig genug und die Buße gründlich genug war. Oder man hat Anfechtungen, ob man überhaupt zum Heil erwählt ist.

Luther ging es aber um die Heilsgewissheit. Und die besteht nur, wenn das Heil allein an Christus hängt und gar nicht am Menschen. Darum kann die lutherische Theologie die Frage, warum manche, soweit wir es beurteilen können, glauben und andere nicht, nur offen lassen. An eine doppelte Prädestination glauben wir nicht, denn Gottes Wort sagt: „Gott will, dass allen Menschen geholfen werden, und sie zu Erkenntnis der Wahrheit kommen. (…) Wenn Menschen von sich sagen, sie könnten nicht glauben, liegt das auf der menschlichen Ebene. Manchmal ahnen sie, dass Christsein Konsequenzen für ihre Lebensgestaltung haben würde und das möchten sie vermeiden. Manchmal haben sie ein total falsches Bild vom Christsein. Manchmal bedeutet Glauben für sie ein diffuses Für-wahr Halten von Kinderbibelgeschichten; dass es um Vertrauen auf Christus geht, wissen sie nicht.

Vom unserem Menschenbild her, nach dem der Mensch ohne Gott nicht nur schwach, sondern völlig tot ist, bekennen wir mit dem Augsburgischen Bekenntnis: Der Mensch hat keinen freien Willen, um sich für Gott zu entscheiden, denn der Mensch „kann äußerlich ein ordentliches Leben führen und in Angelegenheiten, die der Vernunft zugänglich sind, frei entscheiden. Aber ohne Gnade, Hilfe und Wirkung des Heiligen Geistes kann der Mensch Gott nicht gefallen, ihn nicht von Herzen fürchten oder an ihn glauben, auch nicht die angeborene Lust zum Bösen aus dem Herzen reißen; sondern dies geschieht durch den Hl. Geist, der durch Gottes Wort gegeben wird. Denn so spricht Paulus im 1. Korinther 2,12: Der natürliche Mensch nimmt nichts an, was vom Geist Gottes kommt.“ (AB Art. 18).

  1. Was ist mit den Menschen, die aufgrund von schweren Erfahrungen oder wegen des Elends auf der Welt nicht glauben können?

Ich denke, in diesem Fall sollte man nicht von Unglauben, sondern von einem angefochtenen Glauben sprechen. Durch schwere Erlebnisse oder wenn jemandem das Elend in der Welt sehr nahe kommt, dann kann es Phasen geben, in denen es unmöglich scheint, zu beten oder Gott zu vertrauen. Wir können sicher sein, dass Gott uns dann trotzdem nicht loslässt und durchträgt.

Anders ist es, wenn sich Anklagen in die Klage mischen, und jemand unbewusst denkt, er könnte Gott mit seiner Abwendung bestrafen, für dass, was er zugelassen hat. Das hat etwas mit Schmerz und Hilflosigkeit zu tun. Gott bricht die Beziehung deshalb nicht ab.

Und noch etwas anderes ist es, wenn sich jemand auf Verfehlungen der Kirche oder Gottes vermeintliches Nicht-Eingreifen beruft, um Gott gegenüber quasi den Spieß umzudrehen. Ein alter Seelsorger sagte mir mal, er habe mit der Zeit sehr genau zwischen diesen drei Situationen zu unterscheiden gelernt. Bei der letzteren würde er nur noch sagen: „Sie haben recht. Das ist ganz falsch was bei den Kreuzzügen und den Hexenprozessen passiert ist. Aber danach wird Gott Sie ja dereinst nicht fragen, denn Sie waren nicht dabei. Was ist aber mit dem, was er Sie fragen wird?“

  1. Liegt es zum Beispiel an den Eltern, ob ein Mensch glaubt oder nicht, weil sie etwas falsch oder richtig gemacht haben?

Das wäre eine einfache Erklärung. Man kann ja auch beobachten, dass manche Dinge in der christlichen Erziehung fast immer gute Folgen haben und manche fast immer schlechte. Aber man kann keine Regel daraus ableiten. Alle Eltern wissen, dass jede Entscheidung auch falsch sein kann. Wenn Eltern ihrem Kind zum Beispiel verbieten, an einer Sportveranstaltung teilzunehmen, weil es mit in den Gottesdienst gehen soll, kann die Sache in zwei Richtungen ausgehen. Entweder die konsequente Haltung bietet dem Kind die nötige Orientierung und es versteht, was in seiner Familie Priorität hat oder es ballt die Faust in der Tasche und beschließt immer zum Sport zu gehen statt in die Kirche, sobald es selbst entscheiden kann. Man hat ja auch schon oft genug gesehen, dass nicht immer alle, die das gleiche Elternhaus hatten, auch den gleichen Weg gehen. Ab einem bestimmten Punkt, treffen Kinder Entscheidungen, die den Glauben fördern oder beeinträchtigen können, für die nicht mehr die Eltern verantwortlich sind: die Wahl des Ehepartners, berufliche Gegebenheiten, das ganze soziale Umfeld der erwachsenen Kinder. Ich meine, wenn Eltern nach bestem Wissen und Gewissen getan haben, was sie bei der Taufe ihres Kindes versprochen haben, dann können sie das, was trotzdem falsch gelaufen ist nur noch der Gnade Gottes anbefehlen und ansonsten ihre Kinder auch in religiöser Hinsicht in die Eigenverantwortung entlassen.

 

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