Eine Perspektive auf die Rassismusdebatte in den USA
Dr. Jacob Corzine, Concordia University Chicago, USA
Ich kann nur mit einem herzlichen, persönlichen Gruß an meine Brüder und Schwestern in der FELSISA beginnen. Es ist mein Gebet für euch, dass der Heilige Geist bei euch ist und er es euch ermöglicht, im Glauben an Jesus Christus jede Art von Prüfung und Ärgernis zu ertragen. Dieses Jahr hat sicherlich seinen Anteil dieser beiden Dinge mit sich geführt. In den Vereinigten Staaten wurden wir von einer schweren Welle von COVID-19-Fällen und Todesfällen heimgesucht (etwas, das jetzt wieder auf dem Vormarsch zu sein scheint), und mitten in dieser Krise kam eine weitere auf uns zu in der Form des Todes eines schwarzen Mannes namens George Floyd durch einen Polizisten und damit auch Proteste, die als Reaktion darauf ausbrachen. Diese Proteste wehten größtenteils unter dem Banner einer Bewegung, die in den USA als „Black Lives Matter“ bekannt ist. Pastor Rüdiger Gevers hat mich gebeten, für das Kirchenblatt Bekennende Lutherische Kirche darüber zu schreiben. Ich hoffe, dass ich sowohl etwas Klarheit über das Thema schaffen als auch dazu beitragen kann, eine wohl überlegte und christliche Reaktion auf das Problem des Rassismus zu finden, das mehr als dieses eine Ereignis umfasst, da es sowohl in den USA als auch in Südafrika weiterhin ein brennendes Thema ist .
Obwohl ich in den USA lebe, habe ich kein Wissen über den Tod von George Floyd, das nicht für euch alle gleichermaßen im Internet zur Verfügung steht. Ich überlasse es euch, dieses bei Bedarf zu lesen. Es ist wichtig zu wissen, wie Floyd starb: Ein Polizist kniete fast neun Minuten lang auf seinem Hals. Dies ist ein Beispiel von Sünde, das langsam und nüchtern anerkannt werden muss: Der Offizier, dessen eigenes Leben in keiner Weise bedroht war, hielt diese Position trotz Floyds Bitten lange genug, um einen Mann zu töten.
All dies wurde auf Video festgehalten, wie auch in den vergangenen Wochen eine Reihe anderer Vorkommnisse von Polizisten, die drastischer mit schwarzen Männern umgingen, als es angemessen oder gerechtfertigt erschien. Doch diesmal war es anders, da es fast unmöglich war, sich die Art mildernder Umstände vorzustellen, unter denen dies als ein bedauerliches Ergebnis der akzeptierten Polizeipraxis angesehen werden konnte. Aus menschlicher Sicht ist es wirklich schwierig, die beteiligten Offiziere freizusprechen. Das bedeutet, zumindest soweit ich die Situation beurteilen kann, dass viele Amerikaner, die zuvor gezögert hatten, die Polizisten für schuldig zu halten, diesmal nicht zögerten und sich auch fragten, ob sie sich zuvor geirrt hatten.
Das unmittelbare Ergebnis – gewalttätige Proteste in Minneapolis (der Stadt, in der Floyd starb) – entwickelte sich durch chaotische Proteste in den meisten großen Städten der USA (einschließlich nur wenige Blocks von meinem eigenen Haus in Chicago entfernt) zu friedlichen, aber anhaltenden Demonstrationen, die im ganzen Land verbreitet sind. Dies führte zu Unterstützungsbekundungen aus praktisch allen Teilen der amerikanischen Gesellschaft, wobei die Kirche keine Ausnahme bildete. Eine besonders bewegende Aussage kam von einer Gruppe schwarzer LCMS-Pastoren namens „Black Clergy Caucus„. (Link: https://www.theunbrokencord.com/writings/black-clergy-caucus-statement-on-george-floyd )
Ich schrieb darauf eine Antwort mit den drei Überschriften: „hören“, „zuhören“ und „sprechen“. https://tinyurl.com/y8p86wna .
Ich war sehr dankbar, dass sie sich zu Wort gemeldet hatten und wollte das anerkennen. Sie schlossen sich mit ihrer Stimme nicht der Black Lives Matter-Bewegung an, die wohl unmöglich mit dem biblischen Christentum in Einklang zu bringen ist, und zogen damit wahrscheinlich die Verachtung vieler Amerikaner auf sich, die diese Bewegung heute als die einzig legitime Repräsentation einer „antirassistischen“ Position betrachten. Sie standen unserer Kirche kritisch gegenüber, aber nicht in einer Weise, die zum Niederreißen gedacht war, sondern in schlichter offener Ehrlichkeit. Dies erntete ebenfalls Verachtung. Aber ihre Aussage war hoffnungsvoll, im Evangelium verwurzelt und den gleichen Grundlagen der Bibel und der Bekenntnisse verpflichtet, von denen wir uns alle leiten lassen, und das musste meiner Meinung nach hervorgehoben werden.
Ich begann mit der Feststellung, wie der Tod von George Floyd unsere Aufmerksamkeit so eindringlich auf sich zog. Dieses Ereignis war wie eine Warnung, die mir sagte, dass jemand sprach. Der nächste Schritt bestand darin, genau zuzuhören, was meiner schwarzen Pastorenbrüder sagten. In meiner Antwort habe ich versucht, in eigenen Worten neu zu formulieren, was die Aussage unseres Black Clergy Caucus beinhaltete, weil ich wusste, dass meine Antwort kein Gewicht haben würde, wenn sie nicht auf der brüderlichen Anerkennung ihrer Äußerungen beruhen würde. Das bedeutete davon auszugehen, dass, obwohl ich andere Wörter verwende, um Dinge zu beschreiben, oder vielleicht auch einfach anderer Meinung bin, ihre Worte nicht auf Täuschung abzielten, sondern auf die Wahrheit, so sehr wie meine auch.
Schließlich fand ich es aber auch wichtig, selbst zu sprechen. Es gibt viele Leute, die derzeit vorschlagen, dass Weiße schweigen und nur zuhören sollten, aber ich halte dies für falsch. Die christliche Nächstenliebe erfordert kein Schweigen, sondern vielmehr, dass ich meine Stimme nicht benutze, um die einer anderen Person zu übertönen. Aber es blieb die Frage, was ich sagen soll. Es war beliebt, tiefe Schuldgefühle und rassistische Motivationen für das gesamte weiße Leben zuzugeben. Ich war nicht dazu geneigt, das zu machen. Zum Teil erhob der Black Clergy Caucus seine Stimme gegen Kirchenentscheidungen der letzten Jahre, jedoch nicht Entscheidungen, bei denen ich eine Rolle spielte. Ich war also nicht dazu geneigt, mich dafür zu entschuldigen, und ich hatte auch nicht das Gefühl, dass dies sehr aufrichtig wäre. Tiefe persönliche Sünden werden auch nicht vor der Öffentlichkeit bekannt, sondern so: „Vor Gott soll man sich aller Sünden schuldig geben, auch die wir nicht erkennen; aber vor dem Beichtiger sollen wir allein die Sünden bekennen, die wir wissen und fühlen im Herzen.“ (Kleiner Katechismus). Wie sollte man also sprechen?
Diese Worte im Katechismus beschreiben nicht das öffentliche Verhalten eines Christen, sondern eine ständige Haltung der Buße. Christen rechtfertigen sich nie selbst, sondern wir wenden uns immer mit unseren Sünden zu Gott (auch mit solchen, deren wir nicht bewusst sind!) und bitten ihn, uns um Jesu willen zu rechtfertigen. Dies ermöglicht eine andere Art der Reaktion, wenn ein Bruder noch nicht einmal sagt, dass man rassistische Dinge getan hat, sondern einfach, dass er das Gefühl hat, aufgrund seiner Rasse anders behandelt zu werden. Dann kann ich zunächst sagen, dass dies vielleicht wahr ist, und wenn dem so ist, akzeptiere ich die Schuld. Christus wird sie beseitigen.
Folgendes habe ich also geschrieben: „Ich habe in meinem Leben erheblich davon profitiert, nicht schwarz zu sein, und ich habe die Ungerechtigkeit dieser Realität gewöhnlich ignoriert. Ich habe schwarze Kollegen manchmal als Quotenerfüller angesehen, obwohl diese Haltung ihre göttliche Berufung unterminiert; ich habe ihren Ausschluss aus der Gruppe akzeptiert, nicht ohne Gewissensbisse, sondern weil es zu schwierig wäre, etwas dagegen zu unternehmen. Um die Begriffe von Pastor Lattimore (dem Autor des Dokuments des Black Clergy Caucus) zu verwenden: Ich habe zugelassen, dass ihre schwarze Identität, auch in meinen eigenen Einstellungen und Handlungen, Vorrang vor ihrer Taufidentität gewann.“ Ich glaube, dass diese Dinge Sünden waren. Und ich glaube, dass Christus sie beseitigt hat.
Es war ein offenes Geständnis, zu dem ich mich frei fühlte, da ich weiß, dass meine Sünden vergeben sind, und zu dem ich mich auch angetrieben fühlte, um die Stimme meiner schwarzen Kollegen zu bekräftigen. Ich war kurz davor, die Anschuldigung, ich sei ein Rassist, offen zu akzeptieren – aber sie haben diese Anschuldigung nicht erhoben, und ich bin nicht bereit, sie ohne viele Nuancen zu akzeptieren. Danach brachte ich kurz meine Besorgnis über die ideologischen Überzeugungen der Bewegung „Black Lives Matter“ zum Ausdruck. Der Grund, warum ich schrieb, schien – und scheint immer noch – für mich ein klarer Fall des Kindes mit dem Bade auszuschütten zu sein. Wir lehnen bestimmte Bewegungen der amerikanischen politischen Linken ab, wegen einer offenen Verpflichtung, die Probleme der Welt nicht durch die Linse der Sünde und Erlösung, sondern durch Macht und Unterdrückung zu betrachten.
Ich halte es für richtig, diese Bewegungen abzulehnen. Aber wir sollten die Probleme, auf die sie uns hinweisen, nicht so schnell ablehnen. Wenn wir die Lösungen der Gesellschaft nicht guten Gewissens annehmen können, sollten wir unsere eigenen suchen.
In der lutherischen Kirche ist unsere klare Lehre von der Erbsünde ein großartiges Werkzeug im Kampf gegen Rassismus. Sie lehrt, dass die Wurzel des Rassismus nicht der Hass des Nachbarn ist, sondern die Liebe zu sich selbst. Das Erste ist leicht zu leugnen; das Zweite zu leugnen ist gefährlich unchristlich. Aber wenn ich das Zweite akzeptieren kann, dann kann ich erkennen, wie oft ich in meinem Leben meinen eigenen Vorteil über den anderer stelle, und ich kann wieder in den Zyklus der Umkehr und Vergebung eintreten, der grundlegend christlich ist. Etwas herausfordernder ist die Erkenntnis, wie tief die Erbsünde uns alle trifft. Ich habe oben den Kleinen Katechismus zitiert, dass wir uns „aller Sünden schuldig geben sollen, auch die wir nicht erkennen“. Dies ist nicht nur Luthers Art, ein weites Netz auszuwerfen, sondern vielmehr seine Erkenntnis, wie Jesus die 10 Gebote in Matthäus 5 verschärft: Nur Christus kann auch nur eine der Erwartungen Gottes erfüllen.
Aber wir haben Christus, und so können wir uns der Wahrheit stellen und durch die Kraft des Heiligen Geistes sowohl an seine Vergebung glauben als auch in der Liebe zu jedem unserer Nächsten erneuert werden. Das sind unsere Werkzeuge. Ich sehe gerade jetzt in der Praxis, wie schwierig es ist, sie einzusetzen, und wie viele Menschen wollen, dass wir glauben, dass sie nicht ausreichen. Vielleicht sind sie in einer gewissen Weise nicht genug – wir werden die Sünde ganz sicher nicht aus unserer Welt entfernen. Aber wenn wir damit leben müssen, dann mögen wir auch unseren Erlöser an unserer Seite haben. Er bringt die wahre Lösung, Erlösung und Versöhnung.
(Aus dem Englischen übersetzt von Angelika Johannes, Panbult)