Kinder im Gottesdienst oder Kindergottesdienst?
Pastor Andreas Albers wurde am 28. Juli 2019 in Kirchdorf ordiniert und dient seit Oktober 2019 der Our Saviour Gemeinde. Zusammen mit seiner Frau Maria, geborene Schmidt-Dahl, aus Stelle (Deutschland) und ihrem Sohn Benjamin, lebt er in Wartburg. Die erforderte Examensarbeit hat Pastor Albers zum Thema Kinder im Gottesdienst oder Kindergottesdienst? geschrieben.
Frage (F): Kannst du kurz erläutern, worum es bei der Arbeit geht und warum du dich gerade für dieses Thema entschieden hast?
Antwort (A): Mir wurde von Bischof Reinstorf nahegelegt, im Rahmen des 2. Examens ein praxisnahes Thema auszusuchen. Kindergottesdienst ist ein sehr praktisches Thema, weil fast jede Gemeinde unserer Synode ihn sonntäglich anbietet. Die Frage, ob der Kindergottesdienst als ein Ersatz oder ein Zusatz für den Hauptgottesdienst angesehen wird, interessiert mich schon seit langem.
F: Wo ist die Praxis des Kindergottesdiensts entstanden?
A: Die Anfänge gehen auf zwei Veranstaltungen zurück: die Sonntagsschule und die Kinderlehre. Die „Sunday School“ begann zur Zeit der Industrialisierung im 18. Jahrhundert in England. Arme Kinder, die unter der Woche in den Fabriken arbeiten mussten, sollten Lesen und Schreiben anhand biblischer Geschichten lernen. Die Sonntagsschule wurde auch in Nordamerika schnell beliebt.
Nach englischem Muster kam sie in den 1820er Jahren nach Deutschland. Jedoch fand sie zuerst fast keine Ausbreitung. In den 1860er Jahren wurde die Sonntagsschule nach amerikanischem Muster in Deutschland eingeführt. Im Freikirchlichem Raum breitete sie sich rasch aus. Die Lutherischen Kirchen standen der Sonntagsschule zuerst kritisch gegenüber. Jedoch aufgrund der Tatsache, dass die Sonntagsschularbeit der Freikirchen Kinder aus den lutherischen landeskirchlichen Gemeinden zog, sahen sich die Kirchen zum Handeln genötigt und begonnen, die Elemente der Sonntagsschule aufzunehmen – unter einem neuen Namen: Kindergottesdienst.
Dieser neue Kindergottesdienst hatte aber auch seine Ursprünge in der Kinderlehre, die es schon seit der Reformationszeit gab. Fast alle lutherischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts sahen einen Gottesdienst vor (meistens am Sonntagnachmittag), in denen der Katechismus behandelt wurde. Die Kinderlehre verlor jedoch mit der Zeit an Bedeutung. Die Einführung der Sonntagsschule drang die Kirchen in Deutschland dazu, die Kinderlehre wieder zu beleben.
F: Wie hängt das lutherische Verständnis der Kirche mit dem Kindergottesdienst zusammen?
A: Der Gottesdienst ist der Ort, an dem sich die Kirche um die Gnadengaben versammelt. Nach lutherischem Verständnis ist die Kirche „die Versammlung aller Gläubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente dem Evangelium gemäß gereicht werden.“ (Augsburgisches Bekenntnis, Artikel 7). In dieser Gemeinschaft werden schon die kleinen Säuglinge hineingetauft und werden so komplett Teil der christlichen Gemeinde. Eine Gemeinde sollte daher nicht durch parallelen Gottesdienst und Kindergottesdienst den Eindruck schaffen, dass es in der Gemeinde zwei Gemeinschaften gibt.
In der Kirche, wie im Haushalt, lernen Kinder und Erwachsene voneinander. Kinder werden von Erwachsenen in den Gottesdienst mithineingezogen und lernen so die Liturgie und die Lehre der Kirche kennen. Umgekehrt können Erwachsene auch von Kindern lernen. Ihr Glauben soll nach Mk 10,13-16 für Erwachsene ein Vorbild sein.
F: Laut der FELSISA Ordnung soll der Kindergottesdienst gefördert werden. Wie wäre das deiner Meinung nach möglich und nötig?
A: Der Kindergottesdienst an sich ist eine gute Sache und sollte meines Erachtens Teil einer Gemeinde sein. Kinder sollen und dürfen altersgerechten Unterricht empfangen. Schwierig wird es dann, wenn der Kindergottesdienst als Ersatz und nicht als Zusatz für den Hauptgottesdienst angesehen wird. Das bringt zum Ausdruck, dass die Kinder noch nicht in den Gottesdienst gehören. Die Ordnungen unserer Synode sehen das auch so: „Da der Kindergottesdienst nicht den Hauptgottesdienst der Gemeinde ersetzt, soll er während der Predigt, oder wenn möglich, vor oder nach dem Hauptgottesdienst gehalten werden.“ Wir sollten das in unseren Gemeinden auch so umsetzen.
F: Du machst einige praktische Vorschläge, die gut umgesetzt werden könnten. Welche würdest du besonders gern in der Praxis der FELSISA Gemeinden sehen?
A: An diesem Punkt möchte ich kurz den Blick weg von den Kindern auf uns Erwachsene lenken. Kinder werden im Gottesdienst oft nur als Störung wahrgenommen. Ja, kleine Kinder können laut sein und Unruhe schaffen. Trotzdem ist mir es wichtig, dass wir diesen Kindern mit Geduld und Liebe begegnen, sie ernst nehmen als Mitbürger im Reich Christi und sie gerne in den Gottesdiensten sehen.
Viele Gemeinden sind schon damit vertraut, dass Kinder in der Beichte oder beim Abendmahl mit ihren Eltern zum Altar kommen und den Segen durch Handauflegung (oder Absolution) bekommen. In manchen Gemeinden ist dieser Brauch jedoch fremd. Dadurch, dass wir unsere Kinder schon von Anfang an mit zum Altar bringen, bringen wir zum Ausdruck, dass sie zur Gemeinde der Heiligen gehören und ihren Platz im Gottesdienst haben.
Im Kindergottesdienst haben Kinder die Möglichkeit, auf ihrer Ebene darüber zu lernen, was im Gottesdienst passiert – über Taufe, Abendmahl und Liturgie. Dieses kognitive Wissen über den Gottesdienst soll aber auch praktisch in die Tat umgesetzt werden – sie müssen den Gottesdienst selbst erleben. Kinder müssen sehen, hören, riechen und spüren, was im Altarraum passiert. Sie dürfen die segnenden Hände des Pastors, der anstelle des Erz-Pastors Jesus Christus fungiert, sehen und fühlen. Sie sollen von Kindesbeinen an mit ihren eigenen Zungen auf die großen Taten Gottes singend, betend und bekennend antworten – auch wenn sie noch nicht alles verstehen.
Wir können unsere Kinder auch beim Hineinwachsen in das Gottesdienstgeschehen begleiten. Ein Buch, das die Liturgie kindergerecht und mit Bildern erklärt, kann eine große Hilfe sein. Das illustrierte Buch von Andreas Eisen „Kinder-Kirchbuch, Einführung in den evangelisch-lutherischen Gottesdienst“ oder „Worshipping with Angels and Archangels, An Introduction to the Divine Service“ vom Concordia Publishing House bieten diese Möglichkeit. Es wäre eine Überlegung wert, solche Bücher für unsere Gemeinden anzuschaffen.
Zudem sollten Eltern für ihre Kinder nicht solches Spielzeug oder Essensverpackungen mit in den Gottesdienst bringen, die unnötig Lärm machen. Eltern können auch schon zu Hause ihre Kinder auf den Gottesdienst vorbereiten und versuchen ihnen zu vermitteln, dass man sich im Gottesdienstraum ruhiger zu verhalten hat. Vor allem sollten Eltern ihren Kindern Lust und Mut für den Gottesdienst machen. Das tun sie am besten durch ihr eigenes Beispiel.
F: Der Titel der Examensarbeit scheint auf ein „entweder-oder“ hinzudeuten. Warum ist der Kindergottesdienst deiner Meinung nach aber eher ein „sowohl-als auch“?
A: Das Thema der Arbeit ist bewusst etwas provozierend formuliert. Wir sollten nicht entscheiden zu brauchen, ob wir unsere Kinder entweder in den Kindergottesdienst schicken oder ob wir sie mit in den Hauptgottesdienst nehmen. Der Kindergottesdienst hat zu Recht seinen festen Platz in unseren Gemeinden. Jedoch sollte er dort bleiben, wo er ursprünglich gedacht war, nämlich neben dem Gottesdienst. Wenn der Kindergottesdienst Zusatz und nicht Ersatz für den Gottesdienst ist, dann können unsere Kinder beide besuchen.
Wir bedanken uns herzlich für die lehrreichen Antworten und wünschen ihm und seiner Familie Gottes Segen für den Dienst in der Gemeinde und Synode.
(Das Interview führte Angelika Johannes, Panbult)