Gottes Gnade für jedes Alter
In der Regel taufen wir Babys und Kleinkinder. Aber wieso machen wir das? Wäre es vielleicht besser, wenn die Kinder später für sich selbst entscheiden? Kann man bei so kleinen Kindern überhaupt von Glauben reden? Diesen Fragen geht dieser Artikel auf den Grund.
Die Taufgesellschaft steht um den Taufstein herum. Die Eltern strahlen stolz. Die Paten sind leicht aufgeregt. Vorsichtig gibt die Mutter das Baby an die Patin weiter, die es anschließend über den Taufstein hält. Mit leicht skeptischem Gesichtsausdruck lässt es das Kind über sich ergehen, wie der Pastor ihm mit der hohlen Hand dreimal etwas Wasser über die Stirn gießt und dabei spricht: „Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ So – oder so ähnlich – laufen die moisten Taufen in unseren Gemeinden ab. Dass Menschen als Säuglinge oder Kleinkinder getauft werden, ist der Regelfall.
Selbstverständlich gibt es auch Ausnahmen. Etwa die Konfirmandin, die vorher zu keiner Kirche gehörte und eigentlich nur wegen der Freundin in den Unterricht mitgekommen ist. Oder der Mitvierziger, der durch einen Glaubenskurs zur Gemeinde gefunden hat. Der Normalfall ist aber die Kindertaufe.
Besser keine Kinder taufen?
Allerdings ist das längst nicht für alle normal. Im Bekannten- und Freundeskreis begegnen wir häufiger Menschen, die ihre Kinder nicht taufen lassen möchten. Die Gründe dafür sind vielfältig: Der gesellschaftliche Druck, zur Kirche zu gehören, hat deutlich abgenommen. Kirchliche Rituale haben an Plausibilität verloren und wirken fremd. Familien entscheiden ganz individuell, welche religiösen Angebote zu ihrer Lebenssituation passen. Öfter hört man dabei den Einwand, ob es tatsächlich angemessen ist, Kinder in so einem jungen Alter zu taufen. Hierbei gibt es eine säkulare und eine fromme Variante. Die säkulare Version lautet: „Ich will meine Kinder nicht bevormunden. Sie sollen später selber entscheiden, ob sie getauft werden wollen oder nicht.“ Aber auch aus manchen frommen Kreisen kommt ganz ähnliche Kritik: „Kinder können sich nicht bewusst für den Glauben entscheiden. Darum soll man nur Jugendliche oder Erwachsene taufen.“
Die Geschichte der Kindertaufe
Der Streit um die Kindertaufe ist nicht neu. Als der christliche Glaube sich im Römischen Reich immer mehr ausbreitete, kam die Diskussion auf, ob die Taufe von Kindern angemessen ist. Um das Jahr 200 nach Christus sprach der einflussreiche Theologe Tertullian sich dagegen aus. Er befürchtete, dass getaufte Kinder als Erwachsene vom Glauben abfallen könnten und damit die Taufe entwerten würden. Etwa fünfzig Jahre später argumentiert Bischof Cyprian von Karthago dagegen, dass Gottes Gnade allen Menschen unabhängig vom Alter gilt. Darum dürften Kinder nicht von der Taufe ausgeschlossen werden. Diese Position setzt sich in der Kirche durch. In der Reformationszeit wurde erneut Kritik an der Kindertaufe laut. Doch die sogenannten „Täufer“ stießen damit nur auf wenig Gegenliebe. Martin Luther und die anderen Reformatoren sprachen sich eindeutig für die Taufe von Kindern aus, und die Herrschenden setzten diese – teilweise gewaltsam – durch. Allerdings gehen heutige Freikirchen, die in der Regel nur Erwachsene taufen, wie etwa die Baptisten oder Mennoniten, auf die damaligen Täufer zurück.
Was die Bibel dazu sagt
Leider finden wir in der Bibel keine eindeutige Anweisung, ob Kinder getauft werden sollen oder nicht. Das Neue Testament erzählt an verschiedenen Stellen davon, wie Erwachsene sich taufen lassen (zum Beispiel Matthäus 3, 13–17 oder Apostelgeschichte 8, 36–40). Inwieweit auch Kinder getauft wurden, wird nicht ausdrücklich erwähnt. Mehrfach heißt es jedoch, dass Menschen sich mit ihrem ganzen Haus taufen ließen (Apostelgeschichte 16, 15+33; 1. Korinther 1, 16). Hier könnten Kinder dazugehört haben. Ähnlich verhält es sich mit dem Taufbefehl: Jesus trägt seinen Jünger auf, „alle Völker“ zu Jüngern zu machen und zu taufen (Matthäus 28, 19). Üblicherweise würden wir auch Kinder zur Bevölkerung eines Landes zählen. Aber ein eindeutiges Ja oder Nein zur Kindertaufe findet sich in der Bibel nicht.
Gott entscheidet sich für mich
Wie lässt sich die Frage nach der Kindertaufe dann klären? Dafür lohnt es sich, noch einmal etwas genauer zu schauen, was in der Taufe eigentlich passiert. Denn genau genommen ist die Taufe keine Entscheidung des Menschen. In der Taufe entscheidet Gott sich vielmehr für uns, indem er uns mit Gnade überschüttet und zu seinen Kindern macht. Die Taufe ist Gottes persönliches Versprechen, dass seine Liebe für uns stärker ist als alles das, was uns in unserem Leben von ihm trennt. Am Anfang steht also, dass Gott sich für mich entscheidet. Glaube ist dann die Reaktion darauf, dass Gott bereits in Vorkasse gegangen ist. Oder mit Martin Luther gesagt: „Mein Glaube machet nicht die Taufe, sondern empfängt die Taufe“ (Großer Katechismus, 4. Hauptstück). Glaube ist darum im Verständnis der Bibel keine bewusste Entscheidung. Glaube lässt sich eher mit Geschmack oder Sympathie vergleichen. Ob ich Pilze mag oder nicht, kann ich mir nicht aussuchen. Auch habe ich mich nicht dazu entschieden, meine Frau zu mögen. Sie war mir vom ersten Moment an unglaublich sympathisch. Mit dem Glauben ist es genauso. Ich kann mich nicht entscheiden, Gott zu lieben und zu vertrauen – ganz egal, wie alt ich bin. Glauben kann nur Gott in mir bewirken. Und das tut Gott, indem er mir immer wieder zeigt, dass er mich lieb hat und darum vertrauenswürdig ist.
Auch Babys glauben
Daher sollten wir nicht vorschnell die Möglichkeit ausschließen, dass schon Babys und Kleinkinder glauben können. Schließlich können wir auch bei Erwachsenen nicht den Glauben messen. Die Forschungen der Entwicklungspsychologie legen hingegen nahe, dass bereits Babys Vertrauen empfinden. Schon im Mutterleib bauen sie eine Vertrauensbeziehung zur Mutter auf. Nach der Geburt können Neugeborene so die Stimme der Mutter von anderen unterscheiden und bevorzugen diese. Genauso ist es ein Zeichen für kindliches Urvertrauen, wenn Säuglinge wegen Bauchweh oder Hunger weinen oder ihre Eltern anlachen. Denn nur wenn Säuglinge sich sicher und geborgen fühlen, haben sie das Zutrauen, solche Emotionen zu zeigen. Schon Cyprian von Karthago sah darum in dem Weinen und Schreien von Neugeborenen einen versteckten Hinweis darauf, dass sie an Gott glauben und ihn um Hilfe anrufen. Dieses Argument wirkt überraschend aktuell: Wenn wir heute wissen, dass Babys bereits ihren leiblichen Eltern vertrauen, wer sagt dann, dass sie nicht auch an Gott glauben können? Martin Luther vertrat daher im Hinblick auf den Glauben von Babys bei der Taufe die Position: „Das Kind tragen wir herzu in der Meinung und Hoffnung, dass es glaube, und bitten, dass ihm Gott den Glauben gebe. Aber daraufhin taufen wir es nicht, sondern bloß daraufhin, dass Gott es befohlen hat“ (Großer Katechismus, 4. Hauptstück).
Das Beste für unsere Kinder
Der Einwand, die eigenen Kinder nicht durch die Taufe zu bevormunden, wirkt zunächst plausibel. Schließlich ist Entscheidungsfreiheit ein hohes Gut, und wir möchten, dass unsere Kinder zu selbstständigen Menschen heranwachsen. Gleichzeitig wollen wir aber auch das Beste für sie und bemühen uns, ihnen eine gute Prägung mit auf den Weg zu geben. Dabei müssen Eltern jede Menge Dinge für ihre Kinder entscheiden: Welche Impfungen soll mein Kind bekommen? Welche Nahrungsmittel sind gut für mein Kind? Welchen Kindergarten, welche Schule soll es besuchen? Welche Werte möchte ich ihm vermitteln? Aus der Sicht des christlichen Glaubens ist die Taufe das Beste, was wir unseren Kindern mitgeben können. Durch die Taufe werden sie mit Christus verbunden (Galater 4, 27). Durch die Taufe bekommen sie Anteil an seiner Auferstehung (Römer 6, 4–8). Durch die Taufe werden sie schon jetzt gerettet (1. Petrus 3, 21). Unseren Kindern geben wir damit einen tragenden Wert für das ganze Leben mit. Nichts spricht dagegen, das schon zu tun, wenn sie noch Babys sind. Gottes Gnade gilt für Menschen jeden Alters.
Pastor Simon Volkmar (SELK)
Lutherische Kirche 4 / 2020