Das Bild auf der zweitletzten Seite (S. 19) stammt von Lucas Cranach dem Jüngeren.
Er war einer der bedeutendsten Maler der Spätrenaissance und enger Freund Martin Luthers. Lucas Cranach d.J. war, zusammen mit seinem Vater Lucas Cranach dem Älteren, der „Maler der Reformation“. Falls du ein Bild von Martin Luther aus dieser Zeit kennst – der Maler war sehr wahrscheinlich einer dieser beiden. Das Gemälde, welches hier abgedruckt ist, ist das Altarbild der Stadtkirche in Weimer (Deutschland). Cranach d.J. schuf dieses Werk im Jahre 1555, also vor über 450 Jahren! Vor einigen Jahren feierten wir den 500. Geburtstag von Lucas Cranach d.J.
Es gibt so viele Details in dieser Malerei. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich vor vielen Jahren in Weimar vor diesem Altarbild stand und über die vielen Details und Einzelheiten nur staunen konnte. Es passiert so Vieles, und das alles in einer einzigen Malerei! In der Mitte sehen wir den gekreuzigten Christus; links von ihm stehen drei Männer unter dem Kreuz: ganz rechts Martin Luther, mit der offenen Bibel in der Hand; daneben der 1553 verstorbene Vater des Künstlers, Lucas Cranach d.Ä.; und daneben Johannes der Täufer, wie gewohnt mit einem Fingerzeig auf Christus – „Sehet, das ist Gottes Lamm.“ Links vom Kreuz ist der auferstandene Christus, den zu seinen Füßen liegenden Drachen tötend, abgebildet. Im Hintergrund kann man verschiedene Szenen aus dem Alten Testament erkennen… Man könnte stundenlang dieses Bild betrachten, und man wird noch immer nicht alles entdeckt haben.
Ich kann mich daran erinnern, dass ich dieses Bild vor Jahren einer Konfirmandengruppe gezeigt habe. Von allen Einzelheiten des Gemäldes, die die Aufmerksamkeit der Kinder auf sich gezogen hatten, sorgte folgende für die meisten Reaktionen:
Der Blutstrahl, der aus der Seite Jesu auf den Kopf Lucas Cranachs d.A. fließt! Dieses kleine Detail erregte ihre Aufmerksamkeit. „Warum wird dieser alte Mann mit Blut besprengt?“ Wenn man drüber nachdenkt, scheint es sonderbar und fast makaber, dass er unter dem Kreuz steht und mit Blut besprengt wird. Aber das ist genau das, was Cranach beabsichtigt. Da steht sein verstorbener Vater, mit zum Gebet gefalteten Händen, unter dem Kreuz Christi und wird mit Blut besprengt. Was versucht Cranach d.J. damit auszudrücken?
Wie kein anderes Bild zuvor, zeigt uns dieses Gemälde, was wirklich im Heiligen Abendmahl passiert. Man bedenke, dass es sich hier um ein Altarbild handelt, welches direkt über dem Altar, dem Ort des Abendmahls, zu finden ist. Diese Malerei ist drei Meter hoch – kaum zu übersehen! Dort am Altar wird eine echte Verbindung zu Christus hergestellt. Einer der Konfirmanden bemerkte, dass der Blutstrahl wie ein Kabel aussehe, das Cranach d.Ä. direkt mit Christus verbinde. Fast wie eine Nabelschnur. Es gibt wohl kaum eine bessere Art und Weise, das Geschehen während des Abendmahls zu beschreiben – wir werden mit Christus verbunden, uns wird Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit geschenkt. Diese Verbindung hält uns lebendig; sie nährt uns, so wie ein Baby durch die Nabelschnur im Mutterleib ernährt wird. Und diese Verbindung ist echt und real, nicht symbolisch! Man kann sie spüren und anfassen. Sie ist nicht von eigenen Gefühlen oder Stimmungen abhängig. Sie verbindet direkt mit Christus – nicht durch andere Mittel oder andere Menschen. Es sind nur du und Christus! Du stehst direkt vor ihm und wirst von ihm ernährt.
Und sobald dieses passiert, flieht der Teufel! Im Hintergrund, genau über Cranachs Kopf, ist eine Abbildung der Geschichte aus dem Alten Testament, in der die Israeliten in der Wüste von einer Schlangenplage bedroht werden. Gott befiehlt Mose daraufhin, eine eherne Schlange zu bauen und sie an einem Kreuz zu befestigen, sodass jeder, der von einer Schlange gebissen wurde, diese eherne Schlange ansehen und geheilt werden kann (vgl. 4. Mose 21). Cranach d.Ä. schaut auf zum Kreuz, und die hinter seinem Kopf abgebildete Schlange flieht. Der Teufel flieht; Tod und Sünde fliehen von dir, wenn du mit Christus verbunden bist. Der Tod hat keine Macht mehr über dich. Dort, wo der Blutstrahl Cranachs Kopf berührt, ist die Schlange besiegt.
Man kann es nicht mit dem bloßen Auge erkennen, aber die Bibel, die Luther uns entgegen hält, ist so gedreht, dass wir sie lesen können. Cranach hat zwei Bibelverse auf die aufgeschlagenen Seiten gemalt: 1. Johannes 1, 7: „Das Blut Jesu, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde“, und Hebräer 4, 16: „Darum lasst uns freimütig hinzutreten zu dem Thron der Gnade, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden und so Hilfe erfahren zur rechten Zeit.“
Hier ist unsere Hoffnung und Zuversicht, hier ist Gnade und Barmherzigkeit – hier am Altar! Hier werden wir von unseren Sünden gereinigt; hier werden wir auf echte Art und Weise mit Christus verbunden. Cra-nach bildet seinen verstorbenen Vater so ab, als ob dieser einen Schritt zum Kreuz hin machen würde, zum „Thron der Gnade“ – um sich dann direkt an den Betrachter zu wenden, als würde er sagen: „Hier ist der Ort für dich! Hier muss der Teufel fliehen! Hier empfängst du ewiges Leben!“
Lucas Cranach d.Ä. ist zwar gestorben; aber er lebt aufgrund seiner Verbindung zu Christus. Sein Sohn wusste das und hat es deswegen so abgebildet. Wenn man die linke Seite des Bildes betrachtet, findet man den vom Tode erstandenen Christus. Cranach d.Ä. wird auch auferstehen, aufgrund seiner wirklichen Verbindung zu Christus. Und so wird es auch für Lucas Cranach d.J. sein; und für jeden Anderen, der vor den Thron der Gnade tritt; und so wird es auch für dich und für mich sein, wenn wir zum Heiligen Abendmahl kommen, um mit Christus auf ganz wirkliche Weise verbunden zu werden.
Pastor Roland Johannes, Wartburg