Heute Morgen kam Thulani, einer der Arbeiter von St Martin‘s Village, zum ersten Mal zum Gottesdienst.
Er kam in Flip Flops und Unterhemd – für mein Empfinden nicht passend. Dabei hielt er eine Bibel ganz fest in seinen Armen.
Ich habe zum Eingang geblasen und bekam deshalb nicht mit, dass Thulani dringend mit Pastor Beneke sprechen wollte. Während des ersten Gesangs sagte Liesel (die Frau vom Pastor) mir: „Thulani hat ein Problem!“. Ich ging heraus und sah wie er weinend mit Pastor Beneke sprach. Thulani wollte vor der Gemeinde und Gott bekennen, dass er sehr schwer gesündigt habe und bat unter Tränen, dass wir ihm helfen sollen. Ich wusste nicht, wie Pastor Beneke diese Situation lösen würde, da der Gottesdienst ja schon angefangen hatte und er dabei sein musste.
Er bat Thulani mit in die Kirche und ließ ihn ganz vorne bei sich sitzen. Ich merkte, dass Thulani SEHR angespannt war. Der erste Gesang war gerade fertig. Was würde Pastor Beneke nun machen?
Er fing den Gottesdienst mit einer Unterrichtseinheit zu den ersten drei Versen von „Vom Himmel hoch…“ an. Dann sagte er, dass Thulani auch noch etwas sagen möge.
Unter Tränen fing Thulani an zu bekennen – in Zulu, also verstand ich nicht alles – dass er Drogen nimmt und Haschisch raucht. Er habe schwer gesündigt und möge von dem Bann der Sünde gerettet werden. Er bat Gott schluchzend um Vergebung und bat uns als Gemeinde, dass wir ihm doch helfen mögen. Er fragte Pastor Beneke für ihn zu beten. Thulani kniete sich vor dem Altar nieder und Pastor Beneke legte seine Hände auf ihn und betete zu unserem Gott. Thulani kam auch beim Sündenbekenntnis und Absolution mit Handauflegung mit der Gemeinde nach vorne.
Der Gottesdienst nahm seinen normalen Lauf. Während der Predigt beobachtete ich Thulani. Er war sehr angespannt. Er saß nicht still und hielt die Bibel ganz fest in seinen Armen. Dann und wann öffnete er sie, blätterte in der Bibel herum, wischte seine Tränen vom Gesicht. Nach der Predigt ging er aus der Kirche, ich folgte ihm. Er sagte, er wolle nach Hause. Ich fragte ihn, ob er nicht wieder in den Gottesdienst gehen wolle. Er wollte es aber nicht. Ich sagte ihm, dass er weiter mit Pastor Beneke sprechen und Gott um Hilfe bitten solle.
Als ich wieder in die Kirche ging, kam Xoli mir entgegen. Sie ging direkt auf Thulani zu und fing an mit ihm zu reden. Von meinem Platz in der Kirche beobachtete ich sie. Xoli nahm ihm das Fahrrad ab und redete weiter auf ihn ein. Thulani weinte hin und wieder bitterlich. Als ich wieder hinguckte, rief Xoli mich dringend nach draußen. Xoli sagte, dass Thulani nach Hause wolle, aber sie glaube nicht, dass wir ihn alleine gehen lassen müssen, nachdem er ihr etwas gesagt habe. Später sagte Xoli mir, er habe sich das Leben nehmen wollen.
Xoli sprach weiter mit Thulani in Zulu, ich verstand nicht alles. Aber von dem, was ich verstand, merkte ich, dass er bekannte, jemanden getötet zu haben! Ich überlegte, was wir jetzt mit Thulani machen müssen. Müssen wir ihn zur Polizei nehmen? Xoli blieb ganz ruhig und forderte ihn auf weiter zu reden. Er weinte. Xoli sagte ihm, er solle sich eine Zigarette anzünden, sich zu beruhigen. Eigentlich dachte ich, er müsse das Haschisch doch jetzt verbrennen. Inzwischen ging der Gottesdienst weiter, wir hörten die Gemeinde singen.
Wir gingen um die Ecke, weil Thulani nicht vor der Kirche rauchen wollte. Er zündete seine Zigarette an, redete weiter, warf seine Zigarette dann auf den Boden und erklärte, dass er den Mann mit diesen Händen erwürgt habe. Er spannte seine Arme und Hände an und sagte immer wieder: „Mit diesen Händen habe ich ihn erwürgt!“.
Thulani ist jetzt Mitte 20. Zur Zeit des Mordes war er nur 15 Jahre alt! Der Mann wollte ihn berauben. Er zeigte uns die Narbe an seinem Kopf, wo der Mann ihn geschlagen hatte. Für die Tat war Thulani im Gefängnis gewesen. Dort hat er sich am Arm tätowieren lassen. Nun wollte er dieses Tattoo loswerden.
Thulani warf wiederholt die Zigarette auf den Boden und sagte: „Mit diesen Händen habe ich jemanden erwürgt!“. Er wollte wieder in die Kirche, um weiter zu bekennen. Xoli meinte aber, dass er jetzt nur mit ihr und „Onkel Lutz“ sprechen brauche. Thulani erzählte uns, dass seine Mutter einen Schlaganfall erlitten habe und er sich ein schlechtes Gewissen mache, weil er denke, dass es seine Schuld sei. Er wolle am nächsten Tag zu ihr.
Gäbe es die MLC und die Unterstützung der LKM nicht, hätten wir Thulani nicht helfen können. Danke!
Missionar Beneke schreibt weiter: Am Nachmittag und in der Zeit seitdem konnte ich viele intensive Gespräche mit Thulani führen. Besonders nachts hatte er mit dem traumatischen Erlebnis aus seiner Kindheit zu kämpfen – während schlafloser Nächte war es für ihn als ob der Geist des Ermordeten ihn quälte. Thulani suchte Ruhe und floh in exzessiven Alkohol- und Drogenkonsum, Gewinnspielen und Straßenkämpfen. Doch er merkte, dass es die Situation sich nur verschlimmerte. Seine Mutter war krank und er verschwendete dauernd das Geld mit dem er sie eigentlich versorgen wollte. An dem Morgen, von dem Lutz schrieb, hatte er sich dann entschieden mit dem ganzen Schluss zu machen. Er nahm einen Strick und ging zu den Bäumen neben dem Hühnerstall, wo er sich sonst um die Hühner von St Martin‘s Village kümmerte. Doch dann hörte er aus der nahegelegenen Kirche den Gemeindegesang vom deutschen Gottesdienst, der gerade zu Ende ging. Kurzfristig fiel die Entscheidung es doch noch einmal zu wagen und dabei Gott und der Gemeinde um Hilfe zu bitten.
Thulani ist ein starker, stolzer, tatkräftiger und fleißiger Mann. Während wir für ihn beteten, ergriff er immer wieder meine Arme. Sein Griff war so fest, dass ich etwas Angst um meine Knochen bekam. Immer wieder sagte er: „Diese Hände sind alles was ich habe, und diese Hände haben jemanden getötet. Wie kann ich hiermit leben?“. Doch je mehr er sein Herz vor Gott und uns ausschüttete und wir für und mit ihm beteten, je mehr ließ die Spannung nach. Thulani meinte, dass er ein Mann sei, und dass er Jahre lang mit Niemandem über diese Sache gesprochen hätte, weil er dadurch Schwäche gezeigt hätte. Er hatte Angst, dass man ihn auslachen würde. Wir haben ihn nicht ausgelacht. Langsam wurde die Wunde geöffnet und gesäubert. Er willigte ein, eine Entzugstherapie beim „City of Refuge“ hier in Newcastle zu machen. Die Betreiber meinten, er wäre ein „Musterpatient“. Die Kosten dafür
(R 12 500) übernahmen die Gemeinde und Glieder der Kirche. Inzwischen kümmert Thulani sich wieder um die Hühner und das Gemüse bei St Martin‘s Village und um seine Mutter Zuhause. Auch bei den Morgenandachten am Dienstag und Donnerstag ist er dabei.
Thulani, ([thu‘la:ni] thula + ni, Imperativ Plural von thula) kann „sei still!“, „halt die Klappe!“, aber auch „sei ruhig!“ bedeuten. Wenn Gott Thulani in Christus ruft, heißt es „Geh in Frieden! Deine Schuld ist dir vergeben.“ Thulani hat uns als Gemeinde gebeten für ihn zu beten. Ich bitte euch auch, betet für ihn, damit er weiterhin den Anschlägen des Bösen widerstehen und seinen Weg treu und fröhlich gehen kann.
Lutz Böhmer, Newcastle (Kirchenvorsteher und Vorsitzender vom Steuerungskommittee des Missionsprojektes in Newcastle)