Galater 1,23-24

Andacht / Wort zur Jahreszeit

„Sie hatten nur gehört: Der uns früher verfolgte, der predigt jetzt den Glauben, den er früher zu zerstören suchte, und priesen Gott über mir.“ Galater 1,23-24

Liebe Leserin, lieber Leser, was machten die Christen in Judäa als sie hörten, dass Paulus sich bekehrt hatte? Sie priesen Gott. Sie erkennen das Wunder der Umkehr, der inneren Veränderung, der geistlichen Wiedergeburt an. Ohne Wenn und Aber. Ohne Vorbehalte, ohne Skepsis. Und sogar ohne das Gehörte nachzuprüfen, allein vom Hörensagen: Der Verfolger ist zum Bekenner geworden, sagt man, gelobt sei Gott dafür!

Verhalten die Christen in Judäa sich da nicht ganz anders, als wir das oft genug tun? „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er gleich die Wahrheit spricht.“ Klingt das bekannt? Oder: „Bei der Familie ist nichts Gutes zu erwarten, daher kann ich es mir auch gar nicht vorstellen, dass es bei ihm anders sein sollte.“ Oder: „Die hat doch vor fünf Jahren dies und das getan oder gesagt, von der halte ich mich lieber fern.“ Oder: „Der war doch als Jugendlicher schon so unausstehlich und wetterwendisch, warum sollte das jetzt anders sein?“

Dürfen wir Menschen so behandeln? Dürfen wir Menschen in unserer Gemeinde, auch solche, die in einer anderen Gemeinde sind, so behandeln und dann trotzdem sprechen: Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern?

Tun wir das, dann stimmt doch etwas nicht. Richtig ist: Die Wandlung vom Saulus zum Paulus ist nichts Alltägliches. Sonst wäre sie im Neuen Testament nicht so herausgehoben. Sie ist etwas Besonderes. Aber sie kommt vor. Und wir müssen es Gott überlassen, und das heißt: grundsätzlich zutrauen, dass ER solche Wandlungen und Veränderungen vollbringen kann und auch heute noch vollbringt. Auch in kleinen Dingen. Es muss gar nicht immer die radikale Umkehr, die totale Verwandlung sein. Es können kleine Fortschritte sein in der Beherrschung negativer Charaktereigenschaften, die einen Menschen durchaus anders machen.

Die Schwierigkeit besteht natürlich darin, dass tiefe charakterliche Veränderungen eher selten vorkommen, und uns unsere menschliche Erfahrung eher zur Vorsicht rät. Wenn wir aber unsere menschliche Erfahrung als einzigen Maßstab nehmen, wenn wir die biblischen Zeugnisse und Bezeugungen solcher Veränderungs- und Umkehrwunder als Märchen aus uralten Zeiten beiseitelegen, dann nehmen wir Gott, dann nehmen wir die erneuernde Kraft des Heiligen Geistes nicht ernst und nennen Gott einen Lügner.

Es ist uns als Christen daher aufgegeben, jedem Menschen immer wieder neu eine Chance zu geben. Wer das tut, wer danach lebt, wird natürlich auch Enttäuschungen erleben. Denn längst nicht jeder, der vorgibt ein Paulus zu sein, ist in Wirklichkeit ein verwandelter Saulus. Viele gut maskierte Saulusse lassen schon bald wieder die Maske fallen und zeigen wer sie eigentlich sind. Aber solche Enttäuschungen dürfen uns nicht dazu bringen, alle über einen Kamm zu scheren.

Die Enttäuschungen, die wir erleben, gehören zu dem Teilhaben am Leiden Christi dazu. Christus muss täglich, und zwar an uns allen erleben, dass die Kraft der Wiedergeburt im Heiligen Geist, die uns in unserer Taufe geschenkt wurde, in unserem Leben Rückfälle und Stillstände, Lüge, Unzucht, Wankelmütigkeit, Verleumdung und üble Nachrede und alle anderen Sünden auch, erleidet. Wir selbst bieten Christus täglich tausend und einen Grund zur Enttäuschung über uns. Die alten Liederdichter haben daher sehr drastisch die Formulierung verwendet: Wir mit unseren Sünden kreuzigen Jesus täglich neu.

Und da sollten wir uns darauf berufen dürfen, schon so oft enttäuscht worden zu sein und deshalb anderen nicht immer wieder eine Chance zu geben? Von den Christen in Judäa, die von der Bekehrung des Saulus hörten, hieß es: Sie priesen Gott darüber. Und der uns das überliefert, ist Paulus selbst, der ganz berührt und staunend daran erkennt, was Vergebung, was gutes Nachreden und Gutes von ihm denken, was Liebe und Güte in Wahrheit bedeuten.

Die Reaktion der anderen Christen, die nicht skeptisch, misstrauisch und voller Vorurteile erstmal auf Distanz gehen, sondern Gott für den neuen Glaubensgenossen preisen, untermauert die Bekehrung und bestärkt Paulus in seinem Glauben und auf seinem neuen Weg. Auf diese Weise übt Gott selbst durch das Gotteslob seiner Gemeinde Seelsorge am neu bekehrten Paulus. Jeder von uns kann einem anderen auf diese Weise zum Seelsorger werden.

Pastor Martin Paul, Pretoria

 

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